Lügen haben kurze Beine- oder: Wenn Grossstädte zum Dorf werden

Wenn ich mich selber beschreiben müsste, würden die Worte „emotional“ und „ehrlich“ eine grosse Rolle in meiner Selbstbeschreibung spielen. Zwei Adjektive die mir viel Glück und Schmerz in meinem Leben bereitet haben. Gerade wenn es um meine Ehrlichkeit geht, kam und komme ich oft zu der Erkenntnis, dass viele Menschen nicht den selben Hang und Drang wie ich verspüren, über Dinge zu reden. Ich versuche Dinge bestmöglich anzusprechen( habe oft auch Angst davor und manchmal lähmt mich diese Angst zutiefst) und so einen Prozess durchleben zu können oder um nicht in die Bredouille zu kommen, mich erklären zu müssen, wenn ich es nicht möchte. Viele Worte, kurz: Belogen zu werden ist einer der für mich schlimmsten Zustände die es gibt.

Im Januar dieses Jahres lernte ich Florian über Tinder kennen. Ein Mann der ganz mein Geschmack war- blond, gross und ein kleiner Macho. Wir gingen Kaffee trinken und endeten überraschenderweise in meiner Wohnung, in welcher er mich verführte. Ich erlebte eine Form von Sex die ich nicht kannte, eine sehr dominante in welcher ich nicht viel zu melden hatten und durchlebte Orgasmen, welche ich seit vielen Jahren nicht mehr erlebt hatte, zugefügt von einem Wildfremden. Das war der Beginn einer Affäre, welche nun bis Oktober dauerte. Wir sahen uns meistens 1 Mal im Monat, redeten nicht viel sondern beschränkten uns auf dominanten Sex- eine Auszeit die ich sehr genossen habe in einem stressigen Alltag.

Florian ist ein Mann, den viele aus meinem Freundeskreis nicht mögen würden. Ein Egomane mit einem hohen Grad an Selbstverliebtheit und Eigenüberzeugung, jemand der sich eher für die „unschönen“ Varianten im sozialen Leben entscheiden würde und jemand, der lebt um zu arbeiten. Doch ich mag ihn. Es gab Momente in welchen er schwach war, sich mir öffnete und mir über seine sensible Seite berichtete, Phasen in welchen er Depressionen durchgangen ist und Phasen in welchen er sich selber sehr hasste. Offenbarungen die mir halfen eine andere Verbindung zu ihm aufzubauen- er fing an Sympathie in mir auszulösen und ich sorgte mich um seinen Zustand.

Wenn wir uns also sahen, sprachen wir neuerdings auch über Dinge aus unserem Leben und mussten uns wohl eingestehen, dass wir eigentlich ein gutes Team sind. Dennoch: nach dem Sex, ging ich meistens nach Hause, eine Trennung die ich mir erhalten wollte um die Beziehung beim Sex zu belassen. Seine Art zu leben widerstrebte mir zu sehr als dass ich mehr Empathie für ihn entwickeln wollte.

Bei unserem letzten Treffen im September war unsere Begegnung sonderbar. Anders als sonst, gab es keinen Sex zur Begrüssung, sondern einen Kuss und den Hinweis, dass wir Bier auf der Couch trinken werden. Also ging es auf die Couch und der Tv lief. Es fühlte sich anders und distanziert an und ich verstand die Situation nicht wirklich. Also tranken wir Bier und sahen einen komischen Film, der mich nicht sonderlich ansprach.

Nach einiger Zeit sprach ich ihn auf eine Situation an, welche einige Tage zuvor passsiert war. Wir trafen uns beide in unseren Autos, auf einer Kreuzung, standen uns gegenüber- er schaute zu mir rüber- ich grüsste ihn- er erkannte mich nicht. Als ich irgendwann den Mittelfinger hob, erkannte er mich, strich sich durchs Gesicht und schaute ein wenig verdutzt. Seine blonde Beifahrerin, schien allerdings mehr von dieser Situaion verwirrt gewesen zu sein. Also fragte ich ihn, wer diese Frau bei ihm in Auto war und er antwortete mir, dass dieses in der Klärung sei. Eine Nachricht die mich verwunderte, da er doch der emotionslose, Beziehungsunfähige Typ zu sein schien- aber nach anfänglicher Verwirrung, strich ich ihm durch die Haare, schaute ihn an und sagte ihm aus vollem Herzen, dass ich mich für ihn freuen würde, wenn er sich verlieben würde. Liebe tut jedem Menschen gut. Florian drukste rum und antwortete das er jemand sei, der keine Liebe braucht.

Wir entspannten uns nun ein wenig und es wurde Zeit den Abend zu beenden. Er schaute mich an und bat mich über Nacht zu bleiben, er sei nun müde und möchte gerne schlafen gehen. Ich hatte keine Probleme damit, schaute ihn an und sagte das ich aber gehen würde. Er verstand es nicht und wurde zickig und beschwerte sich warum ich nicht wenigstens diesen Abend dableiben könnte. Ich nahm seine Hand, schaute ihn an und antwortete ehrlich, dass ich nicht gerne bei Männern übernachte mit welche ich nur Sex habe.

Auf einmal wurde er sauer, verzog sein Gesicht, ging auf Abstand und antwortete patzig: “ Als ob wir beide nur Sex haben würden.“

Ich verstand diese Aussage nicht. Nie hatten wir über eine mögliche Definition gesprochen, nie gab er mir das Gefühl das wir es tun sollten und nie wollte ich es- da ich den Sex zu sehr genoss um ihn durchs Reden kaputt machen zu wollen. Nach einer langen Diskussion, bösen und ehrlichen Worten nahmen wir uns in den Arm und sagten uns das wir uns lieb haben. Ich würde über Nacht bleiben- da es wohl zuerst der letzte Abend sein wird den wir zusammen vebracht haben, da ich die Stadt verlassen werde.

Also gingen wir beide am Nächsten Tag auseinander und ich hatte ein komisches Gefühl- schrieb ihn noch einmal ob wir über etwas reden sollte, ob ein Bedarf an Definierung bestünde. Nein- dieser bestünde nicht. Es ist alles perfekt so wie es ist.

Nun rief Eugen mich vor ein paar Tagen an, er weiss das Florian und ich Sex hatten. Weiss von der Art von Florian, von unserem letzten komischen Treffen, weiss das Florian ein sehr promiskuitiver Mensch ist und wahrscheinlich auch nicht als der einfühlsamste Mensch beschrieben wird.

Da Eugen ein Mensch ist welcher die Theorie der Polyamorie vertritt, traf er sich mit einer Frau, welche ihm schnell sagte, dass sie in einer Beziehung sei- diese aber offen ausgelebt wird. Gerade ihr Partner sei ein sehr promiskuitiver Mann und sie möchte dieses nun auch haben, weswegen sie sich mit Eugen trifft. Sie erzählte von ihrer Beziehung welche seit zwei Jahren bestünde und beschrieb ihren Partner mit Namen, Arbeit und Charakter. Sie ist die Freundin von Florian. Seit zwei Jahren.

Eugen erzählte mir, dass ihm alle seine Gesichtszüge entglitten sind. Kaum habe ich die Stadt verlassen, da trifft er eine Frau welche ebenfalls in dem „Sexkonstrukt“ von Florian ist. Seine Reaktion war wohl offenssichtlich überrascht und es fiel auch ein Mal mein Name, mit dem Hinweis, dass er jemanden kenne welche mit ihrem Freund eine Affäre habe und das Eugen an diesem Punkt gerne erst mit mir darüber sprechen möchte.

Also tat er das. Wir telefonierten direkt nach diesem Treffen, er erzählte mir das Florian eigentlich vergeben sei und das seine Freundin wohl in vielen Fällen unwissend ist, wenn es sich um die Partnerwahl ihres Freundes handle.

Ich wusste nicht recht ob ich lachen oder weinen sollte. Wie kann es aber sein, dass man sich fast ein Jahr lang sieht, dass Intimste austauscht welches körperlich möglich ist und es ihm nicht einfiel, zu keiner Zeit, seine Freundin zu erwähnen? Mal ganz von den letzten Treffen abzusehen in welchen der Sex an einen anderen Stellenwert für Florian gerutscht zu sein schien.

Ich verabscheue Lügen und war tatsächlich ein wenig traurig das Florian es geschafft hatte mein Vertrauen zu gewinnen, dieses aber nicht zurück gab. Am nächsten Tag schrieb Florian mir, erklärte mir irgendwas von „Bogen glätten müssen“ mit seiner Freundin und was ich anscheint Eugen erzählt hätte, was zwischen Florian und mir war. Was erwartete er zu hören? Er wollte Informationen über Eugens denkweisen und ob auf ihn “ böse“ Ueberraschungen zukommen werden? ( Welche sollten das sein??? Liebe?)

Tja, anscheint war zwischen ihm und seiner Freundin das letzte Jahr nicht viel Ehrlichkeit da, was mir für sie wirklich leid tut. Immerhin etwas, was ich mir in diesem Konstrukt wirklich nicht vorwerfen kann. Eugen geniesst mein volles Vertrauen, ich schenke ihm jede einzelne Ehrlichkeit. Denn das Gefühl hintergangen zu werden, ein Leben in einem Lügenkonstrukt zu leben oder jemanden als „falsch“ kennengelernt zu haben, dass sind Schmerzen welche lange an mir zerren.